Einführungsrede zur Vernissage

Anlässlich der Vernissage zur Ausstellung "Überreste" hielt die Kunstwissenschaftlerin Dorina Hecht diese Rede:

Herzlich willkommen zur 6. Ausstellung der Reihe „von dort bis hier“, in der Künstler wie Christophe Ndabananiye vorgestellt werden, die in einem oder mehreren Ländern Afrikas und Europas gelebt haben und dies auch in ihrer Kunst thematisieren.

Christophe Ndabananiye ist in der D.R. Kongo geboren, in Ruanda aufgewachsen und lebt seit 1995 in Deutschland. In seiner Ausstellung „Überreste“ beschäftigt er sich mit seiner eigenen Identität und Geschichte als Künstler mit ruandischen Wurzeln. Seine Schulzeit verbrachte er in Kigali, wo er damals mit seiner Familie lebte. 1991 wurde er im Alter von 14 Jahren an der Kunstschule (École d´Art de Nyundo) in Ruanda aufgenommen und studierte dort bis das Gebäude 1994 durch den Genozid zerstört wurde.

Nach mittlerweile vielen Jahren in Deutschland ging er im Herbst 2011 für mehrere Monate in seine alte Heimat Ruanda zurück. Dort suchte er nach Spuren seiner Vergangenheit, um sie künstlerisch zu bearbeiten. Er traf ehemalige Kommilitonen und ließ sich von den Menschen, der Landschaft, den Städten sowie der Kunst inspirieren. Als ehemaliger Schüler der Kunstschule interessierte ihn, wie sich die Kunstszene seit seinem Weggang entwickelt hat und wie die Künstler heute in Ruanda arbeiten. Dabei ist ihm aufgefallen, dass die Künstler vor Ort sich momentan noch nicht wirklich mit politischen Themen oder gar dem Genozid beschäftigen. Sie scheinen sich auf traditionelle Themen wie die Liebe oder Alltagssituationen zu konzentrieren, oft in Form von Skulpturen oder Tanz.

Er nennt seine Ausstellung „Überreste“ – ein Titel, der auf die Geschichte Ruandas und den Genozid anspielt. Dieses heikle Thema übersetzt er in seine eigene poetische Bildsprache. Dabei greift er das Thema nie ganz direkt auf. Am deutlichsten wird es noch in seiner Serie von Zeichnungen, die er „Schlafende“ genannt hat, wo Menschen zu sehen sind, die schlafend erscheinen, genauso gut aber auch tot sein könnten. Er hat sie aus seiner Erinnerung heraus gemalt. Es scheint ihm um Spuren zu gehen, die Menschen früher und auch aktuell irgendwo hinterlassen haben. So dokumentiert Christophe Ndabananiye seit längerem Schuhe, die scheinbar achtlos irgendwo liegen geblieben sind. Hier zeigt er uns Schuhe, die er in Ruanda vorgefunden hat. Unklar bleibt, welche Geschichte sie erzählen und wie lange sie bereits dort liegen. Einige sind vielleicht nur wenige Tage oder Wochen alt, andere viele Jahre. Warum die Schuhe in diesem sonst so aufgeräumten Land liegen geblieben sind und wer ihr Besitzer oder ihre Besitzerin war, lässt sich für uns nur erahnen.

Er bearbeitet ein Thema oft medienübergreifend, so finden wir in dieser Ausstellung gemalte und fotografische Selbstporträts. Die Fotoarbeiten zeigen wie sich der Künstler die Haare kürzt, die er hier in Deutschland etwas länger trägt und in Ruanda entsprechend der Konvention vor Ort sehr kurz, sozusagen abrasiert. Allein die beiden Arten seine Haare zu tragen verdeutlichen die verschiedenen Seiten seiner Identität – und die thematisiert er ganz bewusst.

In seiner Malerei arbeitet der Künstler schon seit einer Weile hauptsächlich mit Bootslack. Dieses Material drückt für ihn sehr gut die wesentlichen Aspekte aus, die ihn interessieren: Veränderung, Alterung, Erneuerung und Leben. Wenn er nämlich nacheinander mehrere Lackschichten auf Holz aufträgt, entsteht eine wellige Oberfläche, ähnlich der alternden Haut eines Menschen. Die entstandene Struktur ist nicht komplett lenkbar. Die Arbeit scheint zu leben und sich in einem Prozess der ständigen Veränderung zu befinden – wie wir in der Ausstellung noch sehen, denn die Bilder tropfen einfach weiter.

Als ich hinzu kam, während Christophe zusammen mit seiner Frau Katja die Ausstellung aufbaute, hingen ganz hinten schon die großen Bilder mit der schwarzen Fläche, unter der sich jeweils ein übermaltes, also ausgelöschtes, Porträt befindet. Friesartig ziehen sie sich die Wand entlang und verlaufen sogar um die Ecke herum. Diese mutige Präsentationsweise unterstreicht für mich, was seine Arbeiten ausmacht: sie entfalten nicht nur innerhalb des Bildes ein Eigenleben und eine eigene Dynamik, die durch seine Arbeitsweise und seine persönliche Geschichte entsteht, sondern auch innerhalb des Raumes. Herzlichen Glückwunsch, Christophe, für diese gelungene Ausstellung.    

Die Rede als pdf

Dorina Hecht ist Mitherausgeberin des 2010 erschienenen Buches "Afrika und die Kunst. Einblicke in deutsche Privatsammlungen"