Einführungsrede zur Vernissage

Anlässlich der Vernissage zur Ausstellung "Meine Silberhochzeit mit Berlin" hielt Konrad Melchers diese Rede:

Sehr verehrter Herr Mansour Ciss Kanakassy, indem Sie heute als Künstler in Berlin große Kreise begeistern, symbolisieren Sie den Gewinn, den Sie und Ihresgleichen für unser Land bringen. Wir werden dadurch bereichert. Deutschland verändert sich, es wird vielfältiger und weltgewandter – und Sie sind ein willkommener Teil dieser Veränderung. Deutschland braucht Sie. Mich freut auch, wenn Bürger mit Wurzeln in Afrika, wie Sie, heute wesentliche Beiträge dafür leisten, dass wir etwas für die Entwicklung in Afrika tun. Da ist noch Spielraum nach oben. Die Bürger mit Wurzeln in Afrika könnten, Ihrem Vorbild folgend, noch viel stärker für Afrika mobilisiert werden. Diese Ausstellung zeigt uns auch einen anderen Blick auf Afrika, weg von der Opferrolle hin zum Stolz auf die Kreativität, die eigene Arbeit und Leistung.“

Excellence Ambassadeur, verehrter Mansour, lieber Sohn Philipp und Frau Dr. Brandes, liebe VerehrerInnen von Mansour und der Galerie LISTROS, sehr geehrte Damen und Herren, liebe Freundinnen und Freunde, ich habe diese Sätze vorlesen müssen, weil ihr Autor heute leider nicht zur Eröffnung gekommen ist.

Wer errät den Autor? Es ist Bundespräsident Christian Wulff. Die Sätze sind paste und copy aus einigen Reden als Bundespräsident zur Eröffnung der LISTROS-Ausstellung in den Arkaden am Potsdamer Platz, Oktober 2010, und bei Veranstaltungen zum Migrationsthema. Weil Wulff hier außergewöhnlich fortschrittliche Positionen als Bundespräsident äußerte, gehört Mansour auch zu den Erstunterzeichnern eines Appells afrikanischer Diasporaorganisationen in Deutschland vom 30. Januar 2012 mit dem Titel: „Herr Wulff, bleiben Sie Bundespräsident und machen Sie Migration zu Ihrem Schwerpunktthema.“ Bei allem Respekt für den Nachfolger, Bundespräsident Joachim Gauck, es gilt doch festzustellen, dass die „Dritte Integration“, die Armin Laschet mit seinem gleichnamigen Buch zur derzeit größten innenpolitischen Aufgabe in Deutschland erklärt, kein Thema von Gauck ist.

Ich sehe noch, wie vor Freude und Anerkennung die Augen von Mansour blitzten, nachdem Dawit Shanko die LISTROS- Ausstellung in den Arkaden am Potsdamer Platz bzw. im Atrium des Debis Haus mit Bundespräsident Wulff eröffnet hatte. Mansour sah darin einen riesigen Erfolg für alle Afrikanerinnen und Afrikaner in Deutschland.

Diese selbstsichere, kreative und gleichzeitig ebenso liebenswürdige wie liebenswerte Haltung von Mansour hat mich vom ersten Tag unseres Kennenlernens tief beeindruckt. Welche Afrikanerinnen oder Afrikaner in Deutschland sind so keck, dass sie ihre Silberhochzeit mit Deutschland feiern? Seine Be-Geisterung zeigt Mansour im großen Ausstellungsraum 3: „Berlin und ich“. 

Leider kann Mansour seine Silberhochzeit nur mit Berlin feieren, nicht mit seiner Frau, der Ethnologin und Fotografin Gudrun Lohmann Ciss. Sie verstarb in jungen Jahren. Ihr zu Ehren hat Mansour im Raum 1 den Dunkelraum „Ethnocaracteristic“ mit dem Duft der Thouray Nuss gestaltet. Neben Fotogafien und Texten von Gudrun Lohmann Ciss befindet sich in der Mitte eine Fruchtbarkeitsplastik aus Holz von Mansour.

Apropos Staatspräsidenten: Unverkennbar ist der Einfluss, den der erste senegalesische Staatspräsident, Leopold Sedar Senghor, auf Mansour Ciss Kanakassy ausgeübt hat. Senghor war kein herkömmlicher Politiker, sondern ein großer afrikanischer Dichter und Philosoph, einer der Begründer der Negritude - die Negritude eine im antikolonialen Befreiungskampf entstandene, noch bis heut weit herausragende, panafrikanische Kulturbewegung – mit großherzigem Dialogangebot an die alten Kolonialmächte.

Da Afrika nach der Unabhängigkeit politisch und wirtschaftlich nicht geeint werden konnte, vertrat Senghor die Position, dass die Kunst Afrika einen müsste. Kunst sollte einer kulturellen Identität Ausdruck verleihen, die den afrikanischen Kontinent emanzipiert und vereint. Mit diesem Ziel im Visier setzte er durch, dass das senegalesische Kulturministerium bis zu 30% des senegalesischen Staatshaushalts erhielt. Es ist mir nicht bekannt, dass Kunst und Kultur sonst irgendwo in der Geschichte eine solche Bedeutung eingeräumt wurde.

In Senegal wurden damals aus Schwertern nicht Pflüge gemacht, sondern Kunst. Ein Militärlager in der Hauptstadt Dakar wurde umgewandelt in das legendäre Village des Arts, ein selbstverwaltetes Künstlerdorf mit der ebenso legendären Theatergruppe Laboratoire Agit-Art. Dabei engagierte sich der junge Künstler Mansour, Meisterschüler für Bildhauerei am nationalen Kunstinstitut des Senegal.

Senghor hatte von Mansour gehört und ihn eingeladen, ihm seine Kunstwerke zu zeigen. Also belud Mansour einen Lastwagen und fuhr in den Präsidentenpalast. Das Ergebnis war, dass Senghor alle Kunstwerke kaufte und Mansour damals Millionär wurde – allerdings in CFA-Geld, was nur eine beachtliche Summe war, keine Dollar-Million. Vielleicht findet sich ein Kunsthistoriker, der sich auf die Suche nach diesen frühen Kunstwerken aufmacht, damit sie der Öffentlichkeit gezeigt werden können.

Senghors Politik hat zwar wesentlich dazu beigetragen, dass Senegal eine stabile Demokratie ist und dass es bisher keinen Militärputsch gegeben hat. Aber auch in Senegal gab und gibt es schwere soziale und wirtschaftliche Verwerfungen und Erosionserscheinungen, die dazu geführt haben, dass das Künstlerdorf 1985 durch das Militär gewaltsam aufgelöst und zerstört wurde. Senghor war da schon länger nicht mehr Präsident. Für Mansour bedeutete das, dass er mehr als zuvor ins Ausland wanderte. 1987 kam er als 30jähriger nach Berlin. Hier in Berlin hat er seine zweite Heimat gefunden, obwohl es eigentlich, wie er sagt, keinen Plural bei Heimat gibt, keine zwei Heimaten.

Die Zahl der Ausstellungen von und mit Mansour Ciss ist riesig. Mansour hat auf diese Weise Deutschland kennengelernt wie kaum ein in Deutschland Geborener. In Berlin sind es diverse Stadtteile. Neben Großstädten wie Köln und mittleren wie Bielefeld, Darmstadt oder Karlsruhe sind es Orte, die die meisten hier vermutlich nicht kennen: Wendlingen, Künzelsau, Brieslang, Rottenburg am Neckar, Bensheim, Buchen, Schloss Sacrow, Viernheim.

Seine Kunst hat Mansour zum Globetrotter werden lassen. Neben seinen beiden Heimatländern Senegal und Deutschland hat er gearbeitet oder ausgestellt in: Algerien, Belgien, China, Mali, Mexiko, Nigeria, Österreich, Polen und Südkorea. In Mekka war er noch nicht zur Hadsch.

Durch Berlin ist Mansour politischer geworden, er sagt, in Berlin habe er seine zweite Initiation, seine zweite Jugendweihe, erfahren. In Berlin trafen sich 1884/85 die Kolonialmächte in Afrika, um ihren Srcamble, ihren Wettlauf um afrikanische Kolonien, zu beenden und die Aufteilung des Kontinents zu sanktionieren. Die Berliner Konferenz ist deshalb das Symbol der Fremdbestimmung Afrikas. Sie hat übrigens auch verhindert, dass der Erste Weltkrieg schon sehr viel früher wegen der europäischen Rivalitäten in Afrika ausgebrochen ist. Bekanntlich brach er erst 1914 aus Anlass der Balkankrise aus.

Die Berliner Konferenz ist der historische Bezugspunkt für die Gründung des Kunstprojekts „Laboratoire Déberlinisation“ in Anlehnung an die legendäre Theatergruppe „Laboratoire Agit-Art“ durch Mansour und seine Künstlerfreunde Baruch Gottlieb und Christian Hanussek. Laboratoire Déberlinisation behandelt Afrika nicht nur als Opfer von Kolonialismus und Neokolonialismus, sondern will die Geschichte exorzieren, die Gespenster der Vergangenheit vertreiben.

Für dieses Ziel ist der Afro das zentrale Kunstobjekt des Laboratoriums geworden, die neue afrikanische Kunst-Währung. Afro ist mehr als nur das Gegenstück zum Euro oder Dollar und erst recht der afrikanischen Währungen ohne Zukunft, insbesondere des pseudo-afrikanischen CFA. Afro wurde in den USA der 60er und 70er Jahre zum Sinnbild von Black Power, dem historischen Empowerment der Afroamerikaner, ebenso wie der Black Consciousness Bewegung in Südafrika. Heute brauchen wir Währungen, mit denen nicht spekuliert wird, die das Vertrauen der Menschen rechtfertigen. Das ist eine einmalige Chance und Herausforderung an die Kunst, die Mansour mit seiner genialen Idee aufgegriffen hat. Mit Kunst Vertrauen für die neue panafrikanische Währung schaffen, ist eine faszinierende Idee. Wir brauchen den Afro, die Black Consciousness, um den Casino-Kapitalismus zu überwinden. 

Der Afro 1 wurde zum ersten Mal bei der 5. Dak’Art 2002 in Dakar in Umlauf gebracht. Die Scheine fanden rasenden Absatz, selbst die Messearbeiter, die am Bau der Verkaufskioske mitarbeiteten, ließen sich mit Afros bezahlen.

Beim Afro 2 zwei Jahre später in der Dak’Art 2004 wurde das Publikum in Performances einbezogen mit dem spielerischen Anspruch einer Parallele zum Neuen Partnerschaftsprogramm für die Entwicklung Afrikas (NEPAD).

Der Afro ist nicht immer und sofort populär, wo er in Umlauf gebracht wird. In Belgien zum Beispiel haben die Behörden verboten, dass der Lumumba-Afro öffentlich ausgegeben wurde. Deshalb entwarf Mansour den Lumumba-Afro im Großformat für eine Ausstellung in Brüssel. In Uganda wird noch nicht gewagt, den Nabudere-Afro als Regionalwährung zur Finanzierung der Marcus Garvey Panafrican University in Umlauf zu bringen, da die Museveni-Regierung darin ein „illegales“ politisches Oppositionsprojekt sehen würde. Das zeigt, dass der Afro ein große Sprengkraft entwickeln kann, die kolonialgeschichtlich begründete Fesseln der nationalstaatlichen Zersplitterung Afrikas zu sprengen und von der Basis der Menschen her ein vereintes Afrika aufzubauen.

In der Zwischenzeit hat Mansour den Afro zu einem bunten Strauß von Kreationen und Kunst-Produkten entwickelt mit einer komplexer werdenden Ikonografie. Es gibt inzwischen Afro-Express-Kreditkarten, Afro-Mobiltelefonkarten, Afro-Geldautomaten, das neue Plattenlabel „Afrodesiac“ und den Globalen Pass, das Reisedokument für alle Menschen gleich welcher Herkunft.

Ikonografisch wird die panafrikanistische Vision der afrikanischen Einheit in der Architektur, im Städtebau, in Denkmälern, in der Infrastruktur und durch bedeutende afrikanische Persönlichkeiten dargestellt. Zu besichtigen im Raum 2 der Ausstellung: „Laboratoire Déberlinisation“

Zusammengefasst: Der Afro ist eine Utopie auf die Zukunft des emanzipierten und vereinten Afrikas. Senghors Vision oder Traum, mit Kunst Afrika zu einen, wird durch den Afro der Verwirklichung ein wesentliches Stück näher gebracht.

Zum Schluss möchte ich noch eine Hoffnung formulieren: Möge als Ergebnis dieser Ausstellung ein LISTROS Afro geschaffen werden, der mit Hilfe der Listro in Äthiopien eine neue Lokalwährung in Äthiopien wird, eine von vielen in Afrika, aus denen das vereinte Afrika erwächst.

Dieser Text wurde von zwei Texten besonders inspiriert, die zur Lektüre empfohlen werden: Christian Hanussek: „Retour à Berlin – Das Laboratoire Déberlinisation“ und Kerstin Pinther und Tobial Wendl: „Die Gespenster der Vergangenheit vertreiben: Das Laboratoire Déberlinisation und die imaginäre Afro-Währung von Mansour Ciss“

Konrad Melchers (KMelchers@t-online.de)

Die Rede als pdf